student_kWilcke-11042022

Kein Spitzen-Abi geschafft? Es gibt auch ohne Bestnoten Wege in die Zukunft!

Timos Abi ist nicht so besonders. Genau genommen ist es mit einem Notendurchschnitt von 3,7 sogar richtig schlecht zu nennen, doch er ist ganz zufrieden, hat er doch in den mündlichen Prüfungen noch die letzten Punkte rausgeholt. Und nun sitzt er vor mir und fragt nach einem BWL-Studienplatz, ohne Numerus clausus natürlich. Sein Lieblingsfach in der Schule war die Philosophie, aber da fehlt ihm der konkrete Beruf nach dem Studium. BWL machten zwar viele, meint er, aber da würde man sich nicht so festlegen.

Doch, man legt sich fest, und zwar auf ein Wirtschaftsstudium. Ohne kaufmännisches Interesse kann das sehr zäh werden. An einer Fachhochschule ist es sicher auch sehr anwendungsbezogen, aber einen Draht zum Fach sollte man schon haben.

Ich frage ihn mal ganz vorsichtig, was er denn über eine Ausbildung denkt. Für viele Abiturienten ist das gar nicht im Fokus, weil sie meinen, mit dem Abi quasi überqualifiziert zu sein. Das ist nicht so, und gerade in den Ausbildungsberufen gibt es für Abiturienten sehr gute Chancen, nicht nur für einen Ausbildungsplatz, sondern auch später für einen Meisterbrief oder eine entsprechende Fortbildung. Timo ist nicht abgeneigt, eine Ausbildung zu machen, denn immer nur Schule und Lernen, das hing ihm in den letzten Schuljahren schon so richtig zum Hals raus.

Eine Ausbildung eröffnet eine völlig neue Lebenswelt, Abiturienten mit schlechten Noten merken plötzlich, dass sie doch eine Menge können, entdecken ihre „praktische Seite“ und merken, dass die neuen Kollegen ihnen Anerkennung und Wertschätzung entgegenbringen. Ausbildungsstellen gibt es in diesem Jahr auch noch reichlich, ein leichter Fall also? Leider nein.

Die Firmen, die immer so laut schreien, ihnen fehlten die Auszubildenden, legen in den Stellenausschreibungen nämlich die Latte für die Bewerbung ganz schön hoch: In Deutsch, Englisch und Mathe sollte man bitteschön eine glatte „2“ mitbringen, gute PC-Kenntnisse und sogar Praktika werden ganz selbstverständlich erwartet. Zugleich werben alle Firmen mit super-lustigen Team-Events, Urlaub am Geburtstag, jeder Menge super-gesundem Obst und neuerdings gerne mit einem Bürohund, sind also super-locker, doch einen Abiturienten mit einer „4“ in Mathe will dann doch keiner sehen. Schön blöd. Denn in den allerwenigsten Berufen wird die Oberstufenmathematik angewendet. Und nun?

Timo wird sich trotzdem bewerben. Erstens macht eine gute, überzeugende Bewerbung unter Umständen auch schlechte Noten wett, und aus meiner Sicht ist er ein guter Bewerber: Seine Joberfahrung an der Tankstelle und seine jenseits der Schulnoten sehr guten Englischkenntnisse muss er natürlich erwähnen und hoffen, dass jemand sein Potenzial entdeckt.

Sein Plan B bleibt ein Studium, doch seine Erwartung, an einem Studienort ohne Numerus clausus zu studieren, weil es dort weniger anspruchsvoll sei, wird sich nicht erfüllen. Der N.C. ist das Ergebnis von Studienplatzangebot im Verhältnis zur Zahl der Bewerber, und da hat Düsseldorf halt einen viel größeren Einzugsbereich als beispielsweise Trier. Der Schwierigkeitsgrad der Studiengänge bleibt gleich.

Wie könnte hier ein Happy-End aussehen? Da hätte ich gleich mehrere Varianten im Angebot: Timo bekommt einen Ausbildungsplatz, ist glücklich in dem Beruf und ergreift eine der vielen Chancen z. B. auf den Betriebswirt im Handwerk, eine Betriebsnachfolge oder eine der vielen kaufmännischen Aufstiegsfortbildungen. Oder er merkt in der Ausbildung, dass ihn das Fach auch für ein Studium interessiert und bekommt anschließend aufgrund der dann erworbenen Wartezeit einen Studienplatz in einem der neuen wunderbaren Studiengänge „Philosophie und Ökonomie“.

Ich drücke ihm die Daumen.

Comments are closed.